Vereint gegen den Erreger

Autopsien liefern wertvolle Erkenntnisse über Krank­heiten, das wissen Rechtsmediziner und Patholo­gen seit über 100 Jahren. Anfang Oktober ist ein bundes­weites Autopsie-Netzwerk an den Start gegangen. Der Name ist zugleich das Ziel: „Defeat Pandemics“ – Pandemien besiegen.

Prof Aepfelbacher geht auf der Treppe auf den Fotografen zu. Er trägt Jeans und Jacket, eine Hand lässig in der Tasche
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Ziel: Pandemien besiegen
Institutsleiter und Forschungsdekan Prof. Dr. Martin Aepfelbacher

Das Autopsie-Netzwerk wird vom UKE und dem Universitätsklinikum der RWTH Aachen geleitet. Insgesamt 28 und somit nahezu alle deutschen Universitätskliniken beteiligen sich daran – aus dem UKE Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Instituten für Rechtsmedizin, Pathologie und Neuropathologie, der III. Medizinischen Klinik sowie dem Institut für Mikrobiologie, Virologie und Hygiene. Hinzu kommen außer­universitäre Partner, darunter medizinische Fachgesellschaften, Gesundheits­ämter, das Hamburger Heinrich-Pette-Institut und die Bucerius Law School. Sie wollen ihre Kompetenzen bündeln, die Datenerfassung vereinheitlichen, Prozesse standardisieren, Wissen austauschen, Doppelarbeit vermeiden.

Systematische Untersuchungen schaffen Klarheit

„Im Zuge von Corona ist mit der Autopsie eine alte und bewährte medizinische Prozedur wieder in den Vordergrund getreten“, erklärt Prof. Dr. Martin Aepfelbacher, Forschungsdekan des UKE und einer der beiden Sprecher des neuen Netzwerks. Die systematische Untersuchung der an COVID-19
Verstorbenen schaffe Klarheit über die Pathophysio­logie und die molekularen Hintergründe der Infek­tionskrankheit. „Dies trägt dazu bei, die Diagnose und Therapie zu verbessern.“

Kernstück des Projekts ist ein nationales Register, in dem möglichst alle Obduktionsfälle von COVID-
19-Erkrankten in Deutschland zentral elektronisch erfasst werden und von den Netzwerkpartnern
abrufbar sind. Das Register war bereits im Mai vom Institut für Pathologie des Aachener Universitäts­klinikums aufgebaut worden und wird weiterhin von dort geleitet und koordiniert. Es ist eine Art Vermittlungsstelle: Das Register führt die Informationen über die Obduktionsfälle zusammen, bearbeitet Anfragen nach Proben, stellt die Verbindungen her – stets unter Berücksichtigung aller Aspekte des Datenschutzes.

Wir wappnen uns mit dem Autopsie-Netzwerk
für weitere Wellen sowie mögliche neue Krankheitserreger.

Prof. Dr. Martin Aepfelbacher, Forschungsdekan und
Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene

Künstlerisch inszeniertes Foto von Probenröhrchen in einem Ständer
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Probensammlung
Auf die geplanten Biobanken könne alle Unis zugreifen

„Für die Forschung im Verbund ist eine standardisierte Analyse von Bioproben in virologischen, genomischen oder bildgebenden Untersuchungen erforderlich“, sagt Prof. Aepfelbacher. Die Organ- oder Blutproben sollen in dezentralen Biobanken vorgehalten werden. „Diese Proben sind sehr wertvoll. Deshalb ist es wichtig, einheitliche Kriterien für die Aufbewahrung, den Transport und Versand zu definieren, um allen Unikliniken die Möglichkeiten zu geben, die Proben richtig zu behandeln.“

Hamburger Weg bei der Leichenschau

Wie wichtig Autopsien in einer Pandemie sind, hat das Institut für Rechtsmedizin – zu Beginn der
Pandemie noch unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Püschel, seit 1. Oktober von Prof. Dr. Benjamin Ondruschka – vielfach unter Beweis gestellt. Dort werden seit dem ersten Todesfall sämtliche an einer SARS-CoV-2-Infektion Verstorbenen der Hansestadt untersucht. Im Gegensatz zu anderen Bundes­ländern waren die Sektionen behördlich angeordnet worden. Der Hamburger Weg erwies sich als segensreich. „Wir erhielten dadurch sehr schnell sehr relevante Informationen, die die Risikoermittlung, Diagnostik und Behandlung der Patienten entscheidend verbessert haben“, sagt Prof. Aepfelbacher. So konnte man in einer von den UKE-Intensivmedizinern geleiteten Studie das deutlich erhöhte Thromboserisiko bei COVID-19 nachweisen. Seitdem werden infizierte Risikopatienten mit Blutverdünnern behandelt, um Thrombosen und Embolien zu verhindern.

eine blaue Illustration: bildlich als Welle umgesetzt die Infektionswelle während der Corona-Pandemie

„Mit unserem Autopsie-Netzwerk wappnen wir uns nicht nur für die aktuelle Infektionskrankheit, sondern auch für weitere Wellen sowie mögliche neue Krankheitserreger“, betont Prof. Aepfelbacher. „Corona ist eine Basis. Wir wollen uns jetzt auf gemeinsame Technologien, Prozesse, Methoden, Qualitäts­standards und Notfallpläne einigen, um bei der nächsten Eventualität mit fertigen Prozessstandards reagieren zu können.“

Die Pandemie – das zeigt die wellenförmige, weltweite Entwicklung – kennt keine Grenzen, deshalb ist auch ein europäisches Autopsie-Register geplant. Mit der Schweiz, den Niederlanden und anderen Ländern sei man bereits in Kontakt. Viel Zeit bleibt allerdings nicht für die umfangreichen Aufgaben von „Defeat Pandemics“: „Das Projekt läuft offiziell zunächst einmal nur bis Ende März 2021“, sagt Prof. Aepfelbacher, der hofft, „dass wir im Verbund bis dahin viel erreichen und dass es über diesen Zeitpunkt hinaus weitergeführt wird, damit es auch wirklich nachhaltig ist“.

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)