Ausgefragt?! – Frühgeborene: Wenn das Leben zu früh beginnt


Interview mit Prof. Dr. Dominique Singer


Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin

Jedes Jahr findet am 17. November der Weltfrühgeborenentag statt: Allein in Deutschland werden jährlich ca. 60.000 Kinder zu früh geboren. Das bedeutet, dass eines von zehn Neugeborenen zu früh das Licht der Welt erblickt. Damit stellen die Frühgeborenen eine der größten Kinderpatient:innengruppen dar. Im Interview beantwortet Prof. Dr. Dominique Singer, Ärztlicher Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Fragen rund um das Thema Frühgeburt.

  • Mein Name ist Dominique Singer, ich bin der Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.


    Herr Professor Singer, ab wann spricht man von einem Frühgeborenen?

    Die normale Schwangerschaftsdauer beträgt bekanntlich 40 Wochen. Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, werden definitionsgemäß als frühgeboren bezeichnet. Solche, die sogar vor der 30. Schwangerschaftswoche, und das bedeutet im Allgemeinen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 Gramm geboren werden, nennt man Very Low Birth Weight – sehr kleine Frühgeborene.

    Was sind die Gründe für eine Frühgeburt?

    Wichtig ist, dass die Schwangere keine Schuld hat an der Frühgeburt. Man kann eigentlich nichts tun oder lassen, um eine Frühgeburt herbeizuführen oder zu verhindern. Rein medizinisch betrachtet gibt es zwei Hauptgründe: Zum einen die aufsteigende Infektion, die vorzeitige Wehen auslöst und zum anderen den intrauterinen Wachstumsstillstand, der zu einer vorzeitigen Entbindung zwingt.

    Ist eine Frühgeburt lebensbedrohlich?

    Zunächst ist festzuhalten, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Frühgeborenen, also all diejenigen, die kurz vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, vollkommen gesund überleben. Gleichwohl nimmt die Rate an Komplikationen mit jeder Woche der Frühgeburtlichkeit allmählich zu. Dennoch ist selbst an der Grenze der Lebensfähigkeit mit 24,. 23. Schwangerschaftswochen in spezialisierten Zentren heute ein Überleben von 70 bis 80 Prozent möglich.

    Was ist ein Perinatalzentrum?

    In einem Perinatalzentrum arbeiten alle mit der Geburt befassten Disziplinen unter einem Dach zusammen. Das sind vor der Geburt neben der Geburtshilfe selber zum Beispiel die Pränataldiagnostik, die Humangenetik, aber auch die Anästhesiologie. Und nach der Geburt neben der Neonatologie zum Beispiel die Augenheilkunde, die Kinderchirurgie bzw. Herzchirurgie, aber auch die psychologische und gegebenenfalls palliativmedizinische Betreuung.

    Hat eine Frühgeburt Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes?

    Vor allem bei den sehr kleinen Frühgeborenen können neben den akuten Komplikationen, etwa dem Atemnotsyndrom oder den gefürchteten Hirnblutungen, durchaus auch längerfristige motorische und/oder kognitive Beeinträchtigungen auftreten. Zudem wissen wir heute, dass bei Erwachsenen mit Frühgeburtsanamnese bestimmte Atemwegs-, Stoffwechsel- und psychische Erkrankungen etwas gehäuft vorkommen.

    Wie können Eltern unterstützen?

    Durch aktive Einbeziehung der Eltern in die pflegerische Versorgung ihrer Kinder versuchen wir heutzutage, die Bindung zwischen Eltern und Kind bestmöglich zu unterstützen. Betroffene Eltern sollten ein überprotektives Verhalten vermeiden, aber gleichzeitig auch zusammen mit Lehrern und Erziehern darauf achten, dass etwaige kleinere Handicaps nicht zu einer schleichenden Ausgrenzung der ehemaligen Frühgeborenen führen.

    Haben Sie noch eine Botschaft für uns?

    Jedes zehnte Neugeborene ist definitionsgemäß ein Frühgeborenes. Betroffene sind damit also nicht allein. Und durch die Behandlung in spezialisierten Perinatalzentren können wir heute für eine bestmögliche langfristige Entwicklung dieser Kinder sorgen.