Gefährliche Aussetzer

Karin Kollrich aus Hamburg und Thilo Schmidt aus Rostock schnarchen – wie Millionen Menschen auch. Doch die beiden litten unter gefährlichen Atemaussetzern im Schlaf. Mit den furchteinflößenden Masken kamen sie nicht zurecht. Geholfen hat ihnen eine neue Therapie, ein sogenannter Zungenschrittmacher.

Ehepaar Kollrich geht am Wasser spazieren, herbstliche Stimmung, sie legt den Kopf auf seine Schulter
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Neue Lebensqualität
Karin Kollrich und Ehemann Rainer beim gemeinsamen Spaziergang

„Du hast einen ganzen Wald abgesägt!“ Es klingt scherzhaft, aber Karin Kollrich spürt einen leisen Vorwurf. Wieder hat sie geschnarcht, ihren Mann damit aufs Wohnzimmersofa vertrieben. „Das Schnarchen war extrem laut, kaum auszuhalten“, erzählt Ehemann Rainer. Und dann plötzlich diese Stille auf der anderen Bettseite. „Ich habe nach ihr getastet, um zu checken, ob sie noch da ist. Normal war das nicht.“ Er drängt seine Frau, zum Arzt zu gehen. „Wenn wir mit der Küche durch sind“, verspricht sie.

Seit die 68-Jährige und ihr Mann in Rente sind, wird die Wohnung in Hamburg-Bramfeld aufwändig renoviert. „Ich habe mein Schnarchen auf den feinen Baustaub geschoben“, berichtet Karin Kollrich. Dass sie sich oft schlapp fühlt, beim Gang zum Einkaufen schon an der ersten Ampel außer Atem ist, rechnet sie dem Alter zu. „Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.“ Als die Küche Mitte 2018 fertig ist, begibt sie sich wie verabredet zum HNO-Arzt. Der verordnet ein Untersuchungsgerät für zu Hause, das diverse Körper­aktivitäten im Schlaf misst. Bei dieser Polygraphie stellt sich heraus: Die Patientin hat pro Stunde neun Atemaussetzer, die jeweils mindestens zehn Sekunden dauern. Sie verbringt daraufhin eine Nacht in einem Schlaflabor, wo noch differenzierter untersucht wird.
22 Aussetzer werden nun gemessen, das entspricht einer mittel­gradigen obstruktiven Schlafapnoe
und muss behandelt werden.

Die Hamburgerin erhält eine Atemmaske (CPAP), die ihr die Luft mit Überdruck zuführt. Das hält die Atemwege frei. Die Behandlung gilt als Goldstandard bei der Schlafapnoe, für Karin Kollrich ist sie „der blanke Horror“. Sie zählt auf: In Seiten­lage sitzt die Maske nicht bündig, sodass Druckluft
entweicht, es zischt und pfeift. Die Augen sind vom Luftzug erst gereizt, dann entzündet. Frau Kollrich schnarcht zwar nicht mehr, schläft aber auch kaum noch und wacht morgens völlig erschöpft auf. Als sie eines Nachts unter der Maske in Panik gerät, bricht sie ab. Das Ehepaar sucht nun intensiv nach einer Alternative und findet sie im UKE: „Der Zungenschrittmacher war unsere Rettung“, resümiert Karin Kollrich. „Wir schlafen jetzt beide wie die Bären“, bestätigt ihr Mann Rainer.

Thilo Schmidt lehnt auf einem Geländer der Hamburger Elbbrücken, er blickt über die linke Schulter in die Kamera. Elbe und gegenüberliegendes Elbufer in Abendstimmung
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Endlich wieder durchatmen
Müdigkeit und Konzentrationsprobleme sind vorbei

Schon ein Jahr zuvor hatte Thilo Schmidt aus Laage bei Rostock am UKE seinen Zungenschrittmacher erhalten. Unter Vollnarkose waren ihm die drei Komponenten des Systems implantiert worden: Atemsensor am rechten Brustkorb, Generator unter dem rechten Schlüsselbein, Stimulationselektrode am Zungennerv. Deren kleine Stromimpulse schieben die Zunge vor, sodass der Atemweg frei bleibt. Die Operation fand an seinem Geburtstag statt. „Der Zungenschrittmacher war das mit Abstand beste Geschenk“, sagt er.

Schnarchen und Atemaussetzer sind bis dahin für Thilo Schmidt über viele Jahre ein quälendes Thema gewesen. Er ist noch keine 30, als seine damalige Partnerin ihn nachts immer häufiger stupst, weil er so heftig schnarcht und zwischendurch sein Atem stockt. „Mir war das extrem peinlich. Schnarchen, das ist doch was für ältere Leute!“ Wenn morgens um sechs der Wecker klingelt, fühlt er sich, als habe er den Arbeitstag schon hinter sich. Tagsüber kämpft er als Zivilangestellter der Bundeswehr gegen bleierne Müdigkeit und Konzentrationsprobleme an. Abends schläft er auf dem Sofa ein. Seine Stimmung kippt immer mehr, er wird schwermütig, ist schnell gereizt, zieht sich zurück.

In dieser Phase ist Thilo Schmidt wegen schwerer Herzrhythmusstörungen schon länger in Behandlung. Die schlafbezogenen Symptome hat keiner so recht im Blick. Der Patient macht sich im Internet kundig, liest über Schlafapnoe und sucht einen Lungenfacharzt auf. Die anschließende Polygraphie zu Hause ergibt 56 relevante Atemaussetzer pro Stunde, viel zu viel. Sauerstoffgehalt des Bluts: 70 Prozent, viel zu wenig. 2006 erhält er eine Atemmaske, Fullface genannt, „wie bei Darth Vader in ‚Star Wars‘“, sagt er. „Die Maske war mir von Anfang an unangenehm, gegenüber meiner Frau und auch den Kollegen, wenn ich auf einem Lehrgang war.“

Aber sie wirkt. Thilo Schmidt schläft gut, er tankt Energie und genießt es, mit dem kleinen Sohn zu spielen. Doch es wird zunehmend kompliziert. Die Luft pfeift aus der Maske, er hat oft Bindehautentzündungen. Wenn er die Maske noch fester anzieht, hinterlässt das groteske Abdrücke im Gesicht. Konsequenz: „Ich habe das Teil immer öfter liegen gelassen.“ Dann schnarcht er aber sofort wieder und der Atem setzt aus, ein Teufelskreis. Schmidt sucht nun dringend nach anderen Behandlungsoptionen. Als er im Internet auf den Zungenschrittmacher stößt, ist er sogleich angetan. Eine Fachärztin für Schlafmedizin, bei der er Rat sucht, empfiehlt für die Behandlung das UKE.

Jeweils vier Wochen nach der Implantation, als die OP-Narben gut verheilt sind, werden die Zungenschrittmacher von Karin Kollrich und Thilo Schmidt individuell eingestellt. Von da an aktivieren sie selbst das System, indem sie die Fernbedienung unter dem rechten Schlüsselbein auf Höhe des Impulsgenerators anlegen. Wenn die Zunge den Impuls erhält, spürt die Hamburgerin das als kleinen Schubs. Nicht unangenehm, im Gegenteil: „Das verschafft mir ja neue Lebensqualität.“

Auch Thilo Schmidt schnarcht nicht mehr, die Atemaussetzer sind passé, er hat wieder volle Energie. Dass der implantierte Generator laut Hersteller durchschnittlich 10,6 Jahre hält und dann in einem kurzen Eingriff ausgetauscht wird, lässt ihn ungerührt. „Ich bin so dankbar, dass ich aus meiner Grauzone heraus bin.“ Im Sommer letzten Jahres hat er einen Zaun gebaut, war mit seinem ältesten Sohn beim Rammstein-Konzert, hat mit den vier Kindern ein Stelzenhaus im Garten errichtet. „All das wäre vorher undenkbar gewesen.“

Das ist der Zungenschrittmacher

Technische Zeichnung: Darstellung des Herzschrittmachers mit Nummerierung der Punkte 1 in der Lunge, 2, in der Nähe des Schlüsselbeins und 3 in Gaumennäche
Schemazeichnung
Der Schrittmacher liegt unterm Schlüsselbein
Karin Kollrich hält die Fernbedienung des Zungenschrifttmachers an ihren Körper in Höhe des Schlüsselbeins
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Individuell gesteuert
Per Fernbedienung lässt sich der Schrittmacher aktivieren

Der Schrittmacher wird in Vollnarkose mit drei kleinen Schnitten eingesetzt.
Das System enthält:

1: einen Sensor, der die Atembewegung im Schlaf misst.

2: den Generator („Schrittmacher“), der unter dem Schlüsselbein eingesetzt und individuell programmiert wird.

3: eine Elektrode, die den Zungennerv gezielt mit einem Impuls stimuliert und das Erschlaffen der Muskulatur verhindert.

Mit einer Fernbedienung können Patienten den Impuls jederzeit individuell regulieren.

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof, Illustration: Ulrike Hemme